BELLETRISTIK


Ulrike Draesner: Die Verwandelten (Penguin Verlag)
Über das Buch
Im dritten Teil ihrer Trilogie über Nachkrieg, Flucht, Vertreibung und Gewalt widmet sich Ulrike Draesner erneut dem Fortwirken von Traumata aus dem 20. Jahrhundert. Sie erzählt von starken Mutter-Tochter-Beziehungen und dem Missbrauch des weiblichen Körpers für Kriegszwecke. Inmitten der erschütternden Brutalität bietet die Poesie Trost. Zur Sprache kommen Frauen aus drei Generationen, die gegen Sprachlosigkeit und Scham ankämpfend zu neuem Lebensmut finden. Ulrike Draesner gibt den Frauen ihre Stimmen zurück; sie erfinden sich neu, wechseln Sprache und Land und überraschen sich selbst mit ihrem Mut, ihrem Humor, ihrer Widerstandsfähigkeit.
Zur Begründung der Jury
Die Verwandelten sind Frauen, die im Zuge von Krieg und Ideologie ihre Rolle oder gar ihre Identität wechseln mussten. Ulrike Draesner folgt den weiblichen Linien einer verzweigten Familie, um über Macht und deren Wirkung zu erzählen. Die zeitlich und regional unterschiedlich gefärbte Sprache des Romans, die auch Humor kennt, führt drängend zu Fragen der Gegenwart.
Über die Autorin
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihr Werk, darunter die Romane SIEBEN SPRÜNGE VOM RAND DER WELT (Luchterhand 2014) und SCHWITTERS (Penguin, 2020), vielfach ausgezeichnet, zuletzt u. a. 2020 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2021 mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und seit 2018 als Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig tätig.
Leseprobe
Wir schnallen die Decken auf die Rucksäcke. Zwei Märsche noch?
Huschen durch ehemaliges Kampfgebiet. Auf den Feldern sind Panzer liegen geblieben. Tierkadaver ziehen Scharen von Aasvögeln an, die aufschwirren, wenn wir uns nähern. Abgeschossene Kirchtürme, fast ein vertrautes Bild. Kalt und klar steht der Mond über den dächerlosen Häuserreihen, wenn wir aufbrechen.
Wir werden an der Oder liegen im Sommer, Mutti, am Sande werden wir baden, über jede Brücke schreiten, den Kai an der Universität entlangpromenieren, die Stadt wird zerstört sein, aber das milde Breslauer Licht wird uns begrüßen
sie wird in Flammen stehen, sagt Else
aber wird gelöscht werden, sage ich
in Trümmern, sagt sie
besser als nichts, sage ich
wir werden dort zuhause sein wie einst, sage ich
wir werden nie mehr wir sein, sagt sie
aber Zuhause, zurückschlüpfen in unser Zuhause, sage ich
wir werden uns erinnern, sagt sie
es wird uns auffressen, sagt sie
aufbauen wird es uns, sage ich.