BELLETRISTIK


Angela Steidele: Aufklärung. Ein Roman (Insel Verlag)
Über das Buch
In ihrem Roman AUFKLÄRUNG nimmt Angela Steidele uns mit ins Leipzig des 18. Jahrhunderts. Empört über Johann Christoph Gottscheds Biografie über seine früh verstorbene Frau Luise beginnt Dorothea Bach, die älteste Tochter des Thomaskantors, ihre eigenen Erinnerungen an Luise niederzuschreiben. Angela Steidele zeichnet in ihrem Roman ein heiteres Porträt der Aufklärung, berichtet vom männerdominierten Leipziger Geistesleben im achtzehnten Jahrhundert, erzählt mitreißend von Musikern und Buchdruckern, Dichterinnen und Schauspielerinnen, von wissenschaftlichen Höhenflügen und von der Weltweisheit in der Musik.
Zur Begründung der Jury
Über Dorothea Bach ist fast nichts bekannt - Angela Steidele hat sie zur Erzählerin gemacht. In AUFKLÄRUNG erinnert sie an ihre verkannte Freundin Luise Gottsched. Ein nicht nur aufklärerisches Buch, sondern auch ein höchst gegenwärtiges, da es Debattenstoffe wie u. a. Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung verhandelt. Eine herausragende Kombination von präzisen historischen Quellen und kluger wie humorvoller Fiktion.
Über die Autorin
Angela Steidele, geboren 1968, lebt in Köln. Ihre Sachbücher und Romane entstehen auf der Basis von wissenschaftlicher Recherche. Sie veröffentlichte u. a. GESCHICHTE EINER LIEBE: ADELE SCHOPENHAUER UND SIBYLLE MERTENS (Insel, 2010), ANNE LISTER. EINE EROTISCHE BIOGRAPHIE (2017) sowie POETIK DER BIOGRAPHIE (2019). Für ihren Roman ROSENSTENGEL (2015, alle drei bei Matthes & Seitz Berlin) erhielt sie den Bayerischen Buchpreis.
Leseprobe
Als Mme Gottschedin das erste Mal zu Besuch kam, saßen Hans Krebs und ich am großen Tisch und zogen aus einer Partitur die einzelnen Stimmen für die Musik im nächsten Gottesdienst. Über uns brannte eine Öllampe, denn das spärliche Tageslicht reichte an diesem Novembervormittag nicht aus. Anna Magdalena brütete am Klavichord über den Worten einer Arie, die mein Vater seinem Weihnachtsoratorium einverleiben wollte. Als es schellte, rannte Elisabeth zum Seilzug, mit dem man die Haustür unten entriegeln konnte, und öffnete die Tür zur Treppe. Sie war damals acht.
»Sag: Sie wünschen, bitte?« Anna Magdalena spielte konzentriert weiter.
»Wer bist du?«, hörten wir Elisabeth fragen.
Fritz war auf seinen kurzen Beinchen ebenfalls zur Tür gestapft und hielt sich am Kleid seiner großen Schwester fest. Mme Gottschedin reichte den Kindern eine Tüte Räbchen, noch heiß aus der Zuckerbäckerpfanne. Begeistert führten die beiden sie in unser Zimmer. Anna Magdalena stand vom Klavichord auf und begrüßte sie mit einem angedeuteten Knicks.
»Oh, hier wird gearbeitet!« Neugierig musterte Mme Gottschedin das Rastral, mit dem ich gerade fünf Notenlinien gleichzeitig und exakt parallel auf Blankopapier zog.
»Himmelarsch!«
Leicht befremdet drehte sie sich um. Hinter der Wand hatte jemand zwei falsch singende Knaben zum Schweigen gebracht.