SACHBUCH/ESSAYISTIK


Jan Philipp Reemtsma in Zusammenarbeit mit Fanny Esterházy: Christoph Martin Wieland. Die Erfindung der modernen deutschen Literatur (C.H.Beck)
Über das Buch
Aufklärer, Dichter, Übersetzer, Journalist, all das war der geistige Pate Weimars, Christoph Martin Wieland. Neben Lessing ist er die Zentralgestalt der deutschen Aufklärung. Durch ihn wird der Roman in Deutschland zu einer anerkannten Literaturgattung, er schreibt die erste moderne deutsche Oper und bringt mit seinen erotischen Verserzählungen einen neuen Ton in die deutsche Poesie. «Der Teutsche Merkur», damals eine der wichtigsten literarisch-politischen Zeitschriften Europas, wird von ihm herausgegeben und gleichsam nebenbei prägt er das Genre des politischen Journalismus mit seinen Texten über die Französische Revolution und Napoleon.
Zur Begründung der Jury
Eine Biographie, die zugleich Kultur- und Literaturgeschichte ist, verfasst in einer stilistischen Eleganz, die ihrem Gegenstand gerecht wird: Reemtsmas Buch über den Schriftsteller Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813) ist die Frucht eines jahrzehntelangen Engagements für dessen Werk, geboren aus der Bewunderung für einen der wichtigsten ästhetischen und politischen Aufklärer. Nach Lektüre wissen wir, was wir Wieland schuldig geblieben sind, und wollen ihn sofort wieder oder erstmals lesen.
Über den Autor
Jan Philipp Reemtsma, geboren 1952, ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg. Er ist Gründer der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, der Arno Schmidt Stiftung sowie des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Bei C.H. Beck erschien zuletzt: WAS HEIßT: EINEN LITERARISCHEN TEXT INTERPRETIEREN? (2015) sowie eine Übertragung des DAODEJING von Laozi (2017).
Leseprobe
Am 13. August 1808 schreibt Christoph Martin Wieland an Volrath Friedrich Karl Ludwig zu Solms-Rödelheim, den Schwiegersohn seiner jahrelangen brieflich Geliebten – gesehen hat er sie nie –, diesen Satz: «Ich weiß recht gut, daß ich Etwas bin, und, unter uns gesagt, ich bin sogar überzeugt, daß ich, da wo ich stehe, ganz allein stehe und Niemand unter den Völkern mit mir ist noch war.» Das mag man für ein verblüffend kühn entworfenes Selbstbild halten. Aber haben nicht andere Dichter ähnlich geredet? Etwa der große Barockpoet Paul Fleming in seinem letzten Gedicht: «Mein Schall floh überweit, kein Landsmann sang mir gleich (…) Man wird mich nennen hören / bis daß die letzte Glut diß alles wird verstören.» Oder Bertolt Brecht in jungen Augsburger Jahren. Aber der zitierte Satz gehört nicht in das Genre der produktionsnotwendigen Selbsterhebungen oder Selbstüberhebungen, die man seit Ovids «aere perennius» eben kennt (und hatte Ovid nicht recht?).