SACHBUCH/ESSAYISTIK

© Kathrin Burghardt

Regina Scheer: Bittere Brunnen. Hertha Gordon-Walcher und der Traum von der Revolution (Penguin Verlag)

Über das Buch

Regina Scheer blickt zurück auf das beeindruckende Leben von Herta Gordon-Walcher. Die Jüdin ist in den 20er-Jahren Sekretärin von Clara Zetkin. Gemeinsam mit ihrem Mann schließt sie sich den Sozialisten an und kämpft für eine gerechtere Welt. Umgeben von widerständigen Größen wie Rosa Luxemburg, Wilhelm Pieck, Bertolt Brecht und Willy Brandt erlebt sie hautnah das Erstarken des Nationalsozialismus. Es folgen Flucht und Exil. Regina Scheer hat zwanzig Jahre lang mit Herta Walcher gesprochen; empathisch erzählt sie von ihrem entbehrungsreichen Leben für eine große Idee und macht dabei den weiblichen Anteil linker Bewegungsgeschichte sichtbar.

Zur Begründung der Jury

Teilnehmende Biographik - so könnte man Regina Scheers Lebensbeschreibung von Hertha Gordon-Walcher nennen. Scheer war mit ihr befreundet und erzählt auf der Grundlage jahrelanger Gespräche. Geboren 1896 und gestorben 1990 kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, war die jüdische Kommunistin Gordon-Walcher Zeitzeugin einer permanenten Desillusionierung in Kaiserreich, Weimarer Republik, „Drittem Reich", Exil und DDR, die aber ihrem politischen Idealismus nichts anhaben konnte.

Über die Autorin

Regina Scheer, 1950 in Berlin geboren, arbeitet freiberuflich als Autorin und Herausgeberin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher zur deutsch-jüdischen Geschichte. Ihre ersten beiden Romane MACHANDEL (Knaus Verlag, 2014) und GOTT WOHNT IM WEDDING (Penguin, 2019) waren große Publikumserfolge. Für MACHANDEL erhielt sie 2014 den Mara-Cassens-Preis.

Leseprobe

Sie bereiteten sich jetzt auf die Illegalität vor, Hertha erinnerte sich der klandestinen Techniken, die man ihr in Moskau beigebracht hatte, und gab sie an ausgewählte Genossen weiter, denen sie zeigte, wie unsichtbare Tinte hergestellt wird, wie Dokumente vervielfältigt werden können und wie man fotografierte Bilder so komprimiert, dass sie nur noch als winziger Punkt erscheinen, bevor man sie wieder vergrößert. Auch Pässe zu präparieren, war eine Technik, die sie gelernt hatte, wahrscheinlich als sie für Felix Wolf und den Kurierdienst des »Dicken« arbeitete oder als sie auf den nie realisierten Einsatz in Java oder sonst wo vorbereitet wurde.

Das Jahr 1933 begrüßten sie bei Minna Flake in Wilmersdorf, aber es kam keine fröhliche Stimmung auf. Hertha hatte nächtelang durchgearbeitet und war müde, wollte eigentlich lieber schlafen, auch Jacob konnte seine Sorgen nicht verbergen. Jeder der Freunde, die da zusammenkamen, ahnte, dass es ein letztes Mal sein könnte, bedrückt waren sie alle, obwohl sie doch immer so gern gefeiert und gelacht hatten. Am 30. Januar 1933 war Hitler Reichskanzler. Aber noch schien alles offen, noch lebten sie in einer zwar angeschlagenen und brüchigen, aber doch in einer Demokratie