ÜBERSETZUNG

© Edīte Husare

Aus dem Lettischen von Nicole Nau: Zigmunds Skujiņš: Das Bett mit dem goldenen Bein. Legende einer Familie (mare Verlag)

Über das Buch

Zunte, ein lettischer Küstenort im ausgehenden 19. Jahrhundert: Noass zieht es vom elterlichen Hof aufs Meer und in ferne Länder. Zurück lässt er seine Frau, die von seinem Bruder einen Sohn bekommt, und seine leibliche Tochter Leontıne, eine Rebellin, die nicht nur den eigenen Ruf aufs Spiel setzt. Davon unbeirrt fährt der Vater weiter zur See und häuft Reichtümer an, mit dem Ziel, der Familie ein großes Stadthaus zu bauen. Hochzeiten, Kriege und Revolutionen treiben Kinder und Enkel auseinander. Einsam stirbt Noass in seinem Heimatort, wo sich Legenden über seinen Reichtum verbreiten.

Zur Begründung der Jury

Nicole Nau hat den im Original 1984 erschienenen Roman in ein lautmalerisch üppiges Deutsch übertragen. Beginnend im 19. Jahrhundert umspannt die lettische Saga fast das ganze 20. Jahrhundert und erzählt ebenso wirklichkeitsnah wie zauberhaft die „Legende einer Familie“. Dank Nicole Nau verfügt der schelmische Erzähler über einen überbordenden Wortschatz; mal derb, mal zart, stets aber ungeheuer fleischlich.

Über die Autorin

Nicole Nau, geboren 1962 in Gießen, ist Professorin für Allgemeine Sprachwissenschaft und Lettische Philologie an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan (Posen). Sie übersetzt zeitgenössische lettische Prosa, u. a. Nora Ikstenas MUTTERMILCH und Māra Zālītes FÜNF FINGER (beide KLAK Verlag Berlin, 2019). Auf ihrer Website lettlandlesen.com informiert sie über Literatur aus Lettland.

Leseprobe

Aus Kapitel 5 (S. 69-70)
Langsam, doch unaufhaltbar mussten die Segelschiffe ihren Rang an die Dampfschiffe abtreten. Noass’ letzte beiden Segler tingelten nach dem Ersten Weltkrieg noch für einen »Holzhannes« in der Rigaer Bucht und brachten Feuerholz aus dem Umland in die Hauptstadt. Vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man sie im Sund-Kanal am Ufer von Ķīpsala, gegenüber dem Anleger von Iļģuciems liegen sehen – Wracks, die zu nichts mehr nutze waren, halb versunken, die Masten gebrochen, wildromantisch und etwas gruselig.

So kam es, dass Zigmunds Vējagals, ein entfernter Verwandter von Noass, der oft im Sund schwamm und die schwarzen, von der Sonne erwärmten hölzernen Ungetüme erklomm, ohne es zu wissen mit Insignien seines Clans in Berührung kam. In der Mittagsstille knarrten die morschen Türen in ihren rostigen Angeln im Wind. Die Tritte seiner nackten Füße hallten über die schief liegenden Decks. In den Tiefen der Hohlräume lag unbeweglich und dick das modrige Wasser und atmete einen Frieden, wie er nur dort herrscht, wo alles schon der Vergangenheit angehört.