ÜBERSETZUNG
Anne Weber übersetzte aus dem Französischen: "Nevermore" von Cécile Wajsbrot (Wallstein Verlag)
Über das Buch
Nach dem Tod einer Freundin zieht sich eine Übersetzerin nach Dresden zurück, um dort an der Übertragung von Virginia Woolfs TO THE LIGHTHOUSE zu arbeiten. Aus ihren tastenden Versuchen, sich der fremden Sprache anzunähern, entsteht eine betörende Musik und bei ihren nächtlichen Spaziergängen glaubt sie der toten Freundin zu begegnen. Ihre Einsamkeit weitet sich zu einem gewaltigen Echoraum, der von dem verfallenen Haus in Virginia Woolfs Roman über das einstmals zerstörte Dresden bis zur High Line, einer ehemaligen New Yorker Industrieruine, und bis nach Tschernobyl reicht; Orte, die dem Verfall anheimgegeben sind und doch wieder aufleben.
Zur Begründung der Jury
Anne Webers Sprachkunst war bei NEVERMORE mehrfach gefordert, denn der Roman erzählt von einer Autorin, die an einer Übersetzung ins Französische arbeitet. Die deutsche Fassung verlangte eine weitere Sprachebene, doch dadurch haben wir nun ein Trio großer Stilistinnen.
Über die Autorin
Die Autorin und Übersetzerin Anne Weber, geb.1964 in Offenbach, lebt in Paris. Sie übersetzt ins Deutsche (u.a. Pierre Michon, Marguerite Duras) und Französische (z. B. Sibylle Lewitscharoff und Wilhelm Genazino). Ihr Roman KIRIO (S. Fischer, 2017) stand auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse 2017, für ANNETTE, EIN HELDINNENEPOS (Matthes & Seitz, 2020) erhielt sie den Deutschen Buchpreis.
Leseprobe
Es war einmal eine Frau, (…) Eine Schriftstellerin, die den Augenblick zu erfassen versuchte, wie sie sagte. (…) In einem Buch, dessen Titel To the Lighthouse ins Französische übersetzt wurde mit La promenade au phare, Der Spaziergang zum Leuchtturm. Die Bewegung, die in dem to steckt, findet sich im Wort promenade, Spaziergang, wieder. Kann man aber eine Fahrt auf dem Meer Spaziergang nennen? Werden Spaziergänge nicht eher an Land gemacht? Später werden noch andere Titel hinzukommen. Voyage au phare, Reise zum Leuchtturm. Vers le phare, Au phare, Zum Leuchtturm hin, Zum Leuchtturm. Alle scheitern ein wenig an der Evidenz des to. Können sie nicht wiedergeben. Die Fahrt zum Leuchtturm, sagt die erste deutsche Übersetzung. Und eine neuere Fassung, Zum Leuchtturm. Das Deutsche erlaubt eine wörtlichere Übersetzung als das Französische, denn es kann die englische Wortkonstruktion nachbilden. Aber das Ergebnis ist kompakt, die Silben sind zu dicht, verglichen mit den luftigen Klängen des Englischen. Vielleicht ist das der Grund, warum in der ersten Übersetzung Die Fahrt hinzugefügt wurde, die Entsprechung unserer französischen Promenade, aber anders als in Promenade steckt in Fahrt die Idee einer Strecke, die eher mithilfe eines Transportmittels zurückgelegt wird, das auch ein Boot, ein Schiff, sein kann. In diesem Sinn wäre Voyage au phare, Reise zum Leuchtturm, die genaueste, auch in der Silbenzahl mit dem leicht-luftigen englischen Titel übereinstimmende Übertragung.