SACHBUCH/ESSAYISTIK

© Alberto Novelli

Uljana Wolf: "Etymologischer Gossip: Essays und Reden" (kookbooks Verlag)

Über das Buch

Kommt die Sprache erst zu ihrem Wort, wenn sie aus der Selbstverständlichkeit fällt? In den hier versammelten Essays und Reden entwirft Uljana Wolf »die Verschiebung des herrschenden Ausdrucks« als produktive Verstörung angestammter Wahrnehmung von Sprache. Ob Prosagedicht, Übersetzung, translinguales Schreiben – Wolfs Augenmerk gilt dem schmugglerischen Sprachhandeln, den hybriden Formen, dem »Grundrecht«, »jenes und zugleich ein anderes zu sein«. Davon bleibt auch die Form des Essays nicht unberührt, wird »Guessay«, »Translabor«, Versuchsanordnung, eine Form, die zum Weitersprechen, Fabulieren und »gossippen« einlädt.

Zur Begründung der Jury

"ETYMOLOGISCHER GOSSIP" lässt sich als intellektuelle Autobiographie lesen. Uljana Wolf führt mit diesem vor Esprit funkelndem Buch aber vor allem in die Fragen von Ethik und Poetik der Übersetzung ein – und sensibilisiert für deren gesellschaftspolitische Relevanz.

Über die Autorin

Uljana Wolf ist Lyrikerin und Übersetzerin. Ihr Werk wurde in über 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis für ihr Debüt KOCHANIE, ICH HABE BROT GEKAUFT (kookbooks, 2005) und dem Arbeitsstipendium der Villa Massimo Rom 2017/18. Zuletzt übersetzte sie mit Michael Zgodzay Gedichte von Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki aus dem Polnischen (NORWIDS GELIEBTE, Edition Korrespondenzen 2019).

Leseprobe

Vor einigen Jahren fiel mir ein Satz in die Hand, den ich mit Mitte zwanzig beim Studium in Krakau in einen geborgten Computer in der ulica Kremerowska getippt hatte. In der Küche am Ende des Flures, erinnere ich mich, war das leiernde Murmeln des lektors aus dem Fernseher zu hören gewesen, der alle englischen oder französischen Filmstimmen gleichförmig polnisch übersprach. In der Tonspur darunter ahnte man die Originalfassung, bekam sie aber nie zu greifen. Je lauter das Gerät, desto fester übergrantelte der lektor die Fetzen. „Nur noch reden, wenn es wie eine Übersetzung klingt.“ Das war mein Satz, den ich fand. Warum wollte ich in Krakau, als ich nach Russisch, Englisch, Spanisch auch ein wenig Polnisch lernte und an meinem ersten Gedichtband saß, übersetzerisch klingen? Wie hat man sich eine solche übersetzerische Rede vorzustellen? War es nicht so, dass das Übersetzte das Gesagte in einer anderen Sprache verständlich machen soll? Warum soll man merken, dass es übersetzt wurde, warum soll der Rede Übersetzerisches anhaften, Unverständliches gar? Und wie klänge etwas übersetzerisch?