ÜBERSETZUNG
Irmela Hijiya-Kirschnereit übersetzte aus dem Japanischen: "Dornauszieher. Der fabelhafte Jizō von Sugamo" von Hiromi Itō (Matthes & Seitz Berlin)
Über das Buch
Eine Frau namens Itō, mitten im Leben stehend, hat jede Menge Probleme: Da ist der kränkelnde, dreißig Jahre ältere Ehemann, ein britisch-jüdischer Künstler; da sind die drei Töchter mit Essstörungen und Pubertätssorgen, die kranken Eltern, und das Ganze im ständigen Hin und Her zwischen Kalifornien und Japan, wo die Protagonistin eine berühmte Dichterin ist. Zärtlich, provokant und mitreißend erzählt Hiromi Itō in DORNAUSZIEHER vom Alltag einer Frau, die alle Mühe hat, ihre Rollen als Tochter, Ehefrau, Mutter und Intellektuelle zwischen den Kulturen und Generationen, dem vertrauten Gestern und dem lebendigen Heute auszubalancieren.
Zur Begründung der Jury
Mit großem Feinsinn für Alltagston und Transzendenz übersetzt Irmela Hijiya-Kirschnereit die unverfrorenen Schilderungen und Dialoge aus Hiromi Itōs Roman in ein elegant mehrdimensionales Deutsch, das Profanes und Heiliges gleichermaßen zu preisen versteht.
Über die Autorin
Irmela Hijiya-Kirschnereit, 1948 geborene Japanologin, publiziert zu Literatur und Kultur Japans auf Deutsch, Englisch und Japanisch. Sie gab die 34-bändige JAPANISCHE BIBLIOTHEK im Insel-Verlag heraus und übersetzte u.a. Enchi Fumiko, Nosaka Akiyuki, Ōba Minako, Ōe Kenzaburō. Ihr Band MUTTER TÖTEN von Hiromi Itō (Residenz, 1993) war die weltweit erste in Buchform erschienene Übersetzung der Autorin.
Leseprobe
Ich hatte alle Hände voll zu tun. Mit Mutter, mit Vater, mit mir selbst, dann wieder mit Mutter und mit Vater. Kurz bevor ich erneut aus dem Haus gehen musste, ergab sich eine kleine Pause von vielleicht zehn, zwanzig Minuten. Da fiel mein Blick auf den Tamagotchi auf Aikos Tisch. Eigentlich hätte er schlafen sollen, aber sah der Bildschirm nicht so aus, als wäre er gar nicht aktiviert worden? Datum und Uhrzeit blinkten, auch stimmten beide Einstellungen überhaupt nicht. Womöglich hatte ihn Aiko, als sie an ihm herumhantierte, plötzlich sterben lassen, überlegte ich, oder vielleicht war er fast tot und atmete nur noch schwach. Da muss ich Erste Hilfe leisten, dachte ich und versuchte, die Zeit richtig einzustellen. Plötzlich änderte sich der Bildschirm, der Tamagotchi tauchte auf und tanzte hüpfend herum. Er war noch ganz fidel. Das blinkende Datum zeigte den Winterschlaf an, und als ich die Taste drückte, wachte er auf. Das waren im wahrsten Sinne des Wortes die schlafenden Hunde, die geweckt wurden. Gut ausgeruht und quicklebendig schaute der Tamagotchi mich gut gelaunt an und verlangte: Ich will pinkeln. Als ich verdattert zusah, war es schon geschehen. Zu spät. Nun wollte ich ihn wieder schlafen legen und drückte versuchsweise verschiedene Tasten, aber es klappte nicht. Ausgerechnet ich, die vor lauter Arbeit weder ein noch aus weiß, die wegen Vater, Mutter, Aiko und Ehemann kein Geld, keine Zeit und noch nicht mal ein Selbst hat, muss mit dem Tamagotchi in der Hand rumspielen!