BELLETRISTIK

Portraitfotografie von Wolf Haas
© Peter-Andreas Hassiepen
Cover des Buchtitels "Eigentum"

Wolf Haas: Eigentum (Hanser Verlag)

Über das Buch

Wolf Haas‘ „Eigentum“ ist ein einfühlsamer Rückblick auf das Leben der eigenen Mutter, die mit fast 95 Jahren im Sterben liegt. Liebevoll und mit lakonischem Humor zeichnet der Autor das Porträt einer Frau, deren Leben als Tochter eines Wagnermeisters von Hunger und Not bestimmt war. Nun, in ihren letzten Tagen zeugt Marianne von einer inneren Unabhängigkeit, die Wolf Haas dazu bringt, ihren Lebensweg aufzuschreiben und darzulegen, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. Dabei dokumentiert er pointiert und mit liebevoll grimmigem Witz die bäuerlich geprägte Gegend, wo der Grundbesitz eine zentrale Rolle einnimmt.

Zur Begründung der Jury

Die depperte Frage „Kann man vom Schreiben leben?“ kontert der Ich-Erzähler mit „Kann man vom Leben schreiben?“. Wolf Haas kann es. Im Mittelpunkt seines Romans: ein Mann und seine sterbende Mutter; eine Frau, die überall aneckt. Haas erzählt ihr Leben als erbitterte Aufstiegsmühsal und lässt sie dabei in ihrer eigenen Diktion zu Wort kommen. Daraus ergibt sich eine hintersinnige Poetikvorlesung und ein subtil gesellschaftskritisches, tolldreistes Abschiedsbuch.

Über den Autor

Wolf Haas, geboren 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer, studierte Psychologie, Germanistik und Linguistik und arbeitete als Universitätslektor und Werbetexter, bevor er sich dem literarischen Schreiben zuwandte. Für sein Werk erhielt er u. a. den Bremer Literaturpreis, den Wilhelm-Raabe-Preis und den Jonathan-Swift-Preis. Er veröffentlichte die Romane »Das Wetter vor 15 Jahren« (2006), »Verteidigung der Missionarsstellung« (2012) und »Junger Mann« (2017, alle bei Hoffmann und Campe) sowie neun Brenner-Krimis, zuletzt »Müll« (Hoffmann und Campe, 2022), von denen drei den deutschen Krimipreis gewannen. Er lebt in Wien.

Leseprobe

DER WEG DER BESSERUNG

Drei Tage vor ihrem Tod, sie war fast fünfundneunzig Jahre alt und nicht mehr ganz da, erkundigte sich meine Mutter bei mir nach ihren Eltern: »Dort, wo meine Leute jetzt sind«, sagte sie, und als ich nicht gleich verstand, wovon sie sprach, präzisierte sie: »Meine Mami und mein Tati, wo die jetzt sind, ich weiß nicht, wie es da heißt, aber kannst du dort vielleicht mit dem Handy anrufen und ihnen sagen, dass es mir gut geht.«

Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen. Wir waren die, denen es schlecht ging! Ich hatte mich daran gewöhnt, ich hatte mir die ewig gleiche Platte seit dem Tag meiner Geburt angehört. Schon in der Fruchtblase hatte ich mich eingeschwungen: Schlecht geht es uns. Jetzt ging es ihr auf einmal gut.